Nachgefragt bei Hannah Koch (Abi 2021)

Interview zum Gäubote-Artikel „Ein starker Sinn für Gerechtigkeit treibt sie an“ vom 17.10.2023 über unsere ehemalige Schülerin Hannah Koch, die dieses Jahr am Jugendgipfel Y20 in Indien teilnahm.

Interview zum Gäubote-Artikel „Ein starker Sinn für Gerechtigkeit treibt sie an“ vom 17.10.2023 über unsere ehemalige Schülerin Hannah Koch, die dieses Jahr am Jugendgipfel Y20 in Indien teilnahm.

Nachdem 2014 Lucas Schäfer (Abi 2012) als Jugenddelegierter beim Y20 in Sidney teilgenommen hat, ist Hannah bereits die zweite ehemalige AGH-Schüler*in, die Deutschland bei einem Jugendgipfel vertreten hat – eine beachtliche Leistung, da jedes Jahr nur fünf Jugendliche aus ganz Deutschland diese Möglichkeit haben.  

Aus urheberrechtlichen Gründen darf der oben erwähnte Artikel aus dem „Gäuboten“ auf unserer Homepage nicht veröffentlicht werden. Stattdessen habe ich ein Interview mit Hannah geführt – oder genauer: Ich habe ihr Fragen geschickt, die sie in vielen Sprachnachrichten separat beantwortet hat. Dafür, liebe Hannah, vielen Dank! Vor allem aber ganz großen Respekt vor deinem Engagement, deiner Energie und deiner Zielstrebigkeit.

Die Anmerkungen in eckigen Klammern habe ich ergänzt, da manche Begriffe möglicherweise nicht allen Lesenden bekannt sind, insbesondere jüngeren Schüler*innen.

Warst du als Jugendliche bereits politisch bzw. sozial interessiert oder engagiert?

Ich habe mit dem kunstpädagogischen Begegnungsprojekt „Bunt statt Grau“ mein sozial-politisches Engagement gestartet. Ich habe im Rahmen dieses Projekts mit anderen Jugendlichen aus Deutschland sowie mit Geflüchteten einen Container als Begegnungsort umgebaut. Von da ging es über das Jugendforum dann in Projektgruppen, z.B. in die Projektgruppe Mobilität zum Thema Fahrradwege. Zeitgleich war ich am AGH Schulbusbegleiterin, Schulsanitäterin, Schulradlerin und hab da irgendwie Fahrt aufgenommen. Dann habe ich für „Lampedusa Calling“ mehrere Veranstaltungen moderiert, Workshops geleitet.

Das alles hat mir deutlich gezeigt, dass in unserem Land große Ungerechtigkeiten herrschen, ganz viel Rassismus, aber auch Sexismus, der einfach Menschen an der gleichwertigen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben hindert. Ich habe mir gedacht, ich habe Zeit und ich bin privilegiert, ich habe ein Gymnasium besuchen können, darf studieren. All das hat mich ermutigt, mich für andere Menschen einzusetzen, die nicht so privilegiert sind.

Wie konntest du dieses soziale Interesse am AGH „ausleben“?

Hannah verweist bei dieser Frage lächelnd auf die Laudatio, die Frau Bentele bei der Verleihung des AGH-Sozialpreises beim Abi-Ball 2021 auf sie gehalten hat. Hier deren Wortlaut: „Es gibt kaum einen Bereich, in dem Hannah Koch im Laufe ihrer Schulzeit am AGH nicht überaus engagiert mitgewirkt hat. Nicht nur als Schulradlerin und Schulbusbegleiterin, sondern auch als Mitglied der Sani-AG kümmerte sie sich um ihre Mitschüler*innen. Sie engagierte sich sowohl im Rahmen der SMV als auch individuell für Toleranz und eine gerechtere Gesellschaft. Zuletzt wurde das an ihrem Einsatz für die Teilnahme der Schule am Pride-Month deutlich. Außerdem war Hannah Teil des Gottesdienst-Teams, das nicht nur Schulgottesdienste vorbereitete, sondern auch in Corona-Zeiten mit Filmen vor den Weihnachts- und Sommerferien das Gemeinschaftsgefühl an der Schule stärkte. Auch an den Model United Nations nahm Hannah überaus engagiert teil. Insbesondere war Hannah im Organisationsteam von Schule als Staat 2020 und trug dadurch maßgeblich und hauptverantwortlich zur Organisation dieses Projektes bei, das leider kurz vor der Durchführung pandemiebedingt abgesagt werden musste.“

Was hast du nach dem Abitur gemacht?

Nach der Schule habe ich einen Freiwilligendienst in Uganda gemacht. Ich würde das Konzept des Freiwilligendienstes nachträglich allerdings kritisch sehen. Man kommt da als 18-/19-jährige*r Abiturient*in in ein Land des globalen Südens und soll da „helfen“, aber eigentlich war ich viel eher als Lernende da. Ich habe da unheimlich viel mitnehmen können und habe, glaube ich, viel mehr von diesem Freiwilligendienst profitiert als die Menschen vor Ort. Ich habe richtig coole Erfahrungen gemacht und mich gleichzeitig viel mit Kolonialismus und Dekolonisierung befasst. Des Weiteren habe ich mich mit intersektionalem Feminismus beschäftigt und hab diesbezüglich extrem viel mitgenommen.

[Anmerkung: Intersektionaler Feminismus ist eine Betrachtungsweise von gesellschaftlichen Ungleichheiten, die berücksichtigt, dass verschiedene Formen von Ungleichheiten oft miteinander einhergehen und nicht voneinander trennbar sind, z.B. Ungleichheiten aufgrund von Gesellschaftsschicht, Einwanderungsgeschichte, Sexualität und Geschlecht; siehe https://unwomen.de/intersektionaler-feminismus/ .]

Ich finde Freiwilligendienste richtig super und empfehle jedem*r, der*die kann, einen Freiwilligendienst zu machen, denn es ist eine super Möglichkeit, längere Zeit in ein Land und eine Kultur einzutauchen. Ich habe dort in Uganda bei einer von Ugandern – und das ist bewusst nicht gegendert – geleiteten NGO [Anmerkung: Nichtregierungsorganisation] gearbeitet, die dort viel leistet. Ich habe in Frauengruppen mitgearbeitet, die sich mit Themen wie finanzieller Freiheit bzw. Unabhängigkeit für Frauen auseinandergesetzt haben, aber auch mit Themen wie wiederverwendbaren Menstruationsprodukten aus Dingen, die die Frauen dort im Dorf zur Verfügung haben und für die sie nicht extra in die Stadt fahren müssen. Daneben habe ich in einem HIV-/AIDS-Projekt gearbeitet, aber auch an einer Schule. Insgesamt habe ich also einfach ganz vielfältige Erfahrungen sammeln können.

Nach meinem Freiwilligendienst habe ich begonnen, Politik und Nachhaltigkeitswissenschaften an der Uni Lüneburg zu studieren. Seit Mai bin ich auch Bezirksvorsitzende der Jusos [Anmerkung: Jugendorganisation der SPD] und bei der Juso-Gruppe der Uni aktiv. Ich setze mich also auf vielfältigem Weg für eine sozial gerechtere Welt ein.

Was ist der Jugendgipfel bzw. worum ging es beim diesjährigen Jugendgipfel?

Aus https://www.dbjr.de/artikel/internationaler-jugendgipfel-y20-tagte-in-indien:

Beim Jugendgipfel Y20 diskutierten junge Menschen im Vorfeld des G20-Gipfels zu verschiedenen Schwerpunktthemen. Fünf Delegierte brachten die Bedarfe junger Menschen aus Deutschland ein. Das Abschlussdokument mit konkreten Forderungen wurde der indischen Regierung übergeben.

Bei den Jugendgipfeln kommen junge Vertreter*innen aus den G20-Staaten zusammen, um Politikempfehlungen der Jugend zu erarbeiten. Beim diesjährigen Y20 in Varanasi (Indien) diskutierten die jungen Delegierten zu Themen, die schwerpunktmäßig auch beim G20-Gipfel 2023 behandelt werden.

Isabell Steidel saß im Ausschuss „Gesundheit, Wohlbefinden und Sport: Agenda für die Jugend“, Moritz Übermuth im Ausschuss „Friedenskonsolidierung und Versöhnung: Eine Ära ohne Krieg einläuten“, Elif Bayat in „Klimawandel und Verringerung des Katastrophenrisikos: Nachhaltigkeit zu einer Lebensweise machen“, Hannah Koch in „Gemeinsame Zukunft: Jugend in Demokratie und Governance“ und Delegationsleiter Maurice Bessling im Ausschuss „Zukunft der Arbeit: Industrie 4.0, Innovation und Kompetenzen des 21. Jahrhunderts“.“

Wie kam es, dass du am Y20 teilnehmen konntest?

Man konnte sich bewerben. Es gibt UN-Jugenddelegierte, die jedes Jahr von der DGVN, der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen entsandt werden und dann bei der UN-Generalversammlung und vielen Veranstaltungen dabei sind. Diese habe ich schon ein paar Mal gesehen und folge ihnen auch auf Instagram. Die deutschen Jugenddelegierten für den Y7 und Y20 [Anmerkung: Den Jugendgipfeln zu den G7- und G20-Treffen] werden vom DNK, dem Deutschen Nationalkomitee für internationale Jugendarbeit, entsandt. Der DKN ist der Dachverband der größten deutschen Jugendorganisationen, des Deutschen Bundesjugendrings (DBJR), der Deutschen Sportjugend (dsj) und des Rings Politischer Jugend (RPJ). Alle drei Organisationen sind in der Delegation repräsentiert. Gesucht werden dafür nicht die Leute, die die besten Noten haben, sondern Leute, die besonderes Engagement zeigen, die vielleicht auch schon internationale Verhandlungserfahrung haben, die gut genug Englisch sprechen können, um mitreden zu können, auch wenn man schnell reagieren muss. Man muss aber auf keinen Fall perfekt oder gar auf muttersprachlichem Niveau Englisch können.

Für diese Plätze als Delegierte gibt es jedes Jahr Ausschreibungen, auf die sich alle ab 18 bewerben können, und das kann ich auf jeden Fall empfehlen.

Aus welchem Antrieb wolltest du am Y20 teilnehmen? Was war deine Motivation?

Ich habe am AGH schon viele MUN-Konferenzen machen dürfen, hatte dabei unglaublich viel Spaß daran zu diskutieren. Das war zwar „bloß“ eine Model United Nations, also man „spielt“ da sozusagen die UN-Komitees „nach“, aber auch das vereint Vieles von dem, wofür ich mich interessiere: eine Diskussionskultur und das Interesse für internationale Zusammenarbeit. Der Y20 vereint genau das auch. Ich habe da eine Möglichkeit gesehen, stellvertretend für deutsche Jugendliche auf internationaler Ebene ein freiheitlich-demokratisches Weltbild und eine inklusive Sichtweise auf die Welt zu repräsentieren, zum Beispiel mich für Frauen bzw. FINTAS [Anmerkung: Frauen*, Inter*-, nicht-binäre und Trans*- Personen, sowie Menschen, die sich ohne Geschlechtsidentität erleben (“agender”)]und marginalisierte Gruppen einzusetzen. Ich bin ja auch schon eine Weile dabei und ich weiß, dass das in der Politik manchmal schwierig ist. Deshalb dachte ich, ich kann’s ja mal probieren. Ich hätte nicht gedacht, dass ich genommen werde, und ich war auch mit ca. drei Jahren Altersdifferenz die jüngste deutsche Jugenddelegierte, aber das hat mich nicht zu einer schlechteren Delegierten gemacht. Schließlich habe ich bei den MUN-Konferenzen bereits gelernt, dass man auf Zack sein muss und sich da nichts „vorreden“ lassen darf und dass man konstruktiv miteinander verhandeln kann.

Wie ist der Jugendgipfel organisiert? Wie laufen die Sitzungen ab?

Der Jugendgipfel findet jedes Jahr in einem anderen Land statt, also immer dort, wo der G20-Gipfel stattfindet. Nächstes Jahr wird das in Brasilien und danach in Südafrika sein. Er wird vom Vorsitz-Land der G20 organisiert, dieses Jahr eben Indien. Das organisierende „Secretariate“ bestand dieses Jahr ausschließlich aus Leuten, die Mitglieder der Jugendpartei der Regierungspartei waren. In Deutschland wäre das sicher parteiübergreifender, aber das war in Indien nicht so, was man auch an manchen Stellen gemerkt hat.

Am ersten Tag gab es ein Ankommen und wir wurden – wie jedes Mal, wenn wir den Kongress verlassen hatten – in einem Militärkonvoi auf abgesperrten Straßen eskortiert. Das vermittelte so ein bisschen das Feeling eines Staatsbesuchs. Der Gipfel fand in Varanasi statt, dem Wahlbezirk des indischen Hindu-nationalistischen Premierministers Narendra Modi.

Ab dem zweiten Tag ging es in die Sitzungen, die von einem „Chair“, einem*r Vorsitzenden, geleitet wurden. Wir hatten uns allerdings bereits seit April/Mai regelmäßig online zusammengeschaltet und hatten Entwürfe für unsere Resolutionen erarbeitet und diskutiert. Außerdem haben wir Themen festgesetzt, die unbedingt bearbeitet werden sollten. Richtige Streitthemen wurden jedoch erst in den Sitzungen und um die Sitzungen herum besprochen – beim Abendessen, im Hotelflur – und weniger in den Plenumsdiskussionen.

Welche waren die Themen, die dort diskutiert wurden, und welche davon liegen/lagen dir persönlich besonders am Herzen?

In unserem Komitee ging es darum, eine Jugendbeteiligung zu institutionalisieren, also nicht nur wie bei der Jugenddelegation in Herrenberg, wo Jugendliche ein Antrags- und Rederecht haben, sondern indem man auch jugendliche Kandidierende unterstützt bei Wahlen, indem man bestehende Barrieren beispielsweise finanzieller Art zu überwinden hilft, damit nicht nur ältere Menschen das Sagen haben. Dazu können zum Beispiel auch Jugendquoten beitragen.

Ein persönliches Anliegen von mir war die Unterstützung junger Frauen und marginalisierter Gruppen in der Politik durch Mentor*innen- oder Networking-Programme, die auch finanziert werden, um diesen Gruppen den Einstieg in die Politik zu erleichtern. Außerdem war mir die Absenkung des Wahlalters auf 16 ein Anliegen sowie das Mitdenken von E-Demokratie, weil wir in einer digitalisierten Welt leben und es für junge Menschen, die viel unterwegs und sehr mobil sind, die Chancen auf politische Teilhabe verringert, wenn es keine sichere E-Demokratie gibt. [Anmerkung: Unter E-Demokratie versteht Wikipedia die „Vereinfachung und Durchführung von Prozessen zur Information, Kommunikation und Transaktion innerhalb und zwischen Institutionen der Legislative, Bürgern, Unternehmen und weiteren staatlichen Institutionen durch den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien.“]

Außerdem lag mir am Herzen, dass die Afrikanische Union ein Mitglied der G20 (bzw. 21) wird, wie es zum Beispiel die EU auch ist. Bisher war nur ein einziges afrikanisches Land, nämlich Südafrika, Mitglied der G20, Nigeria hatte nur einen Beobachterstatus. Es kann einfach nicht sein, dass wir weiter Entscheidungen über die Welt treffen ohne den afrikanischen Kontinent hinreichend einzubeziehen, und es kann auch nicht sein, dass Südafrika die Mammutaufgabe hat, den gesamten Kontinent zu repräsentieren. Deshalb bin ich sehr froh, dass die Entscheidung, die Afrikanische Union aufzunehmen, dieses Jahr in Indien gefallen ist.

Wie hast du die Konferenz erlebt? Welche Eindrücke und Erfahrungen hast du mitgenommen?

Wir wurden am Flughafen bereits mit Musik empfangen, haben einen Bindi, den typisch indischen Punkt, auf die Stirn bekommen als Segen; es wurden viele, viele Fotos von uns gemacht. Insgesamt hat man natürlich gemerkt, dass man sich auf einem sehr offiziellen Level befindet, alle waren sehr schick gekleidet, es gab Sicherheitsvorkehrungen. Wir haben uns immer in einem vom Militär geschützten Konvoi durch die Stadt bewegt, die Straßen wurden abgesperrt. Die Sicherheitsvorkehrungen waren wirklich sehr hoch, das war echt neu für mich.

Auf der Konferenz wurde sehr feierlich zelebriert, dass auch die Jugendvertreter*innen der G20-Staaten zusammenkommen. Stets wurde sehr viel fotografiert. Wir haben auch ein kulturelles Programm bekommen, haben zum Beispiel die Zeremonie miterlebt, in der der Ganges geehrt wird, oder wir waren in Sarnath, wo Buddha zum ersten Mal nach seiner Erleuchtung die Grundpfeiler des Buddhismus gepredigt hat. Das war schon sehr spannend, das Land auch von dieser Seite kennenzulernen. Es hatte schon so ein bisschen Staatsbesuchsvibes. Es wurden natürlich nur die tollen Seiten des Landes gezeigt, das an sich sehr kontrastreich ist, aber das ist ja normal zu einem solchen Anlass.

Bei der Konferenz hatten alle viel Lust zu arbeiten, waren motiviert und sind mit tollen Ideen zum Jugendgipfel gekommen. Als wir zum Beispiel einmal auf den Bus warten mussten, haben wir uns alle auf den Boden gesetzt, die Laptops rausgeholt und weiter diskutiert. Das fand ich richtig, richtig cool zu erleben, dass so viel Motivation da war und eine sehr lebendige Stimmung und großer Eifer herrschte.

Welches sind deine nächsten Ziele?

Ich würde mich gerne auf nationaler und internationaler Ebene für Jugendpolitik einsetzen, konkret bei den Jusos. Ich bin jetzt auch Teil einer Jugendtaskforce von der EU und WHO [Anmerkung: Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen], für die ich mit 39 anderen Jugendlichen aus 20 EU-Ländern im Alter von 18-35 im November ein paar Tage in Kopenhagen bin. Wir arbeiten in diesem Rahmen an Richtlinien für den gesundheitspolitischen Bereich. Konkret geht es um die Frage, wie der Konsum von Alkohol unter Jugendlichen reduziert und die Schäden durch Alkohol begrenzt werden können.

Davon abgesehen habe ich einfach Lust, mich weiter einzubringen und Politik mitzugestalten. Ich halte immer Augen und Ohren offen nach neuen Möglichkeiten

Was glaubst du, könnte die Schule tun, um Jugendliche für soziale/politische/ökologische Themen zu sensibilisieren und sie zu eigenem Engagement zu motivieren?

Ich weiß, es ist finanziell schwierig und wir haben zu wenige Lehrkräfte und Sozialarbeiter*innen an den Schulen, sodass der Handlungsspielraum jeder einzelnen Schule durchaus begrenzt ist. Ich sehe aber auf jeden Fall, dass interdisziplinäre Projektarbeit super sinnvoll ist, denn wir leben einfach in einer hochkomplexen Welt, in der äußerst komplexe Probleme gelöst und Krisen bewältigt werden müssen, und da kann man einfach nicht mehr ein Problem nur aus der Sicht eines einzelnen Fachbereichs anschauen. Deshalb muss man verschiedene Perspektiven in die Betrachtung miteinbeziehen, und ich glaube, das AGH bietet da schon einiges, wie z.B. Schule mit Courage oder Projekttage. Informelle Lernsituationen können da ebenfalls richtig helfen, genauso wie Erlebnispädagogik – alles also, was vom rein Akademischen abweicht.

Ich habe für mich gemerkt, dass ich viele meiner Soft Skills in Projekten gelernt habe, in denen man mit anderen Lebensrealitäten, mit anderen Ideen konfrontiert wurde, aber auch mit anderen Lernprozessen.

Was rätst du jungen Menschen, die auch die Welt von morgen mitgestalten möchten?

Es ist superwichtig, dass man überzeugt ist, dass man als junger Mensch auch seine Meinung äußern darf, dass man nicht einen Masterabschluss braucht, um sich in einen politischen Prozess einbringen zu können, sondern dass man einfach als Mensch bereits qualifiziert dazu ist, seine Meinung zu äußern. Jugendbeteiligung wird ja oft ein bisschen belächelt, aber ich hoffe, dass sich irgendwann die Einstellung durchsetzt, dass politische Prozesse durch Jugendbeteiligung bereichert werden. Jugendbeteiligung ist ein anstrengender Prozess, aber er lohnt sich. Ich bin davon überzeugt, dass durch Jugendbeteiligung bessere Gesetze für alle Menschen herauskommen, dass Menschen auch mitgedacht werden müssen, die jünger sind, die andere Bedürfnisse haben, vielleicht auch sozio-ökonomisch andere Bedürfnisse. Ich glaube, dass das im Gesetzgebungsprozess manchmal verloren geht.

Jugendbeteiligung geht in Herrenberg auf verschiedenen Wegen: Jugenddelegation, Jugendforum, Stadtjugendring – all das sind richtig tolle Beteiligungsmöglichkeiten, und das ist ein richtig guter Startpunkt, von dem aus man sich Politik mal ein bisschen anschauen kann. Das Gute daran ist, dass das in Herrenberg überparteilich geschieht.

Außerdem gibt es die Jugendorganisationen der verschiedenen Parteien, in die man sich einbringen und in denen man Parteiarbeit gestalten kann. Aber grundsätzlich muss man kein Parteimitglied sein, um sich in politische Prozesse einbringen zu können.

Außerdem gibt es in Stuttgart den Jugendlandtag, der einmal im Jahr stattfindet, es gibt verschiedene Jugendbeiräte, in denen man mitmachen kann. Das bietet einen coolen Einblick in politische Arbeit, die dann in „richtige“ politische Arbeit übergehen kann.

Alles in allem finde ich, dass Jugendbeteiligung nicht heißen kann, dass Jugendliche nur bei Themen beteiligt werden, die sogenannte „jugendrelevante“ Themen sind, denn was ist schon ein jugendrelevantes Thema? Ich finde es schwierig, Jugendliche von irgendeinem Thema auszuklammern. Jugendliche – das sind in Deutschland immerhin 16 Millionen Menschen, und alle Themen, in denen es um Zukunftsfragen, um Mobilität geht, um Themen, bei denen Jugendliche andere Bedürfnisse haben könnten als der Großteil der Wahlberechtigten, sind jugendrelevant. Deshalb sollten Jugendliche bei allen Themen beteiligt werden, so wie es auch beim Y20 war, bei dem Jugendliche die verschiedensten Herausforderungen der Zukunft diskutierten.

Liebe Hannah, wir danken dir für dieses ausführliche Interview!